Interface Design Mailingliste: Re: [Interface] The Humane Environment (THE)

Autor: Marian Steinbach (marian_at_kisd.de)
Datum: Fre 24 Jan 2003 - 17:59:06 CET



Hallo Claus, hallo KollegInnen!

Bis THE für Windows oder Linux herauskommt, muss ich wohl mit theoretisieren... :(

Claus Cyrny wrote:
> Hi Oliver,
>
> ...
>
> Ich bin auch eher dafür, Standards für bereits vorhandene
> Interface zu schaffen, z. B. einheitliche Shortcuts, die so eingängig
> sind wie z. B. '<CTRL>+C' etc.

Ich ahne, dass Du es nicht speziell auf Ctrl+C abgesehen hast und das nur ein Beispiel sein sollte. Aber es verdeutlich große Probleme von User Interfaces, nämlich die Schwierigkeiten

  • Konventionenen einzuführen und
  • plattformübergreifend durchzusetzen sowie letztlich
  • Anwendern zu vermitteln.

"Ctrl+C" bedeutet unter Windows seit Win 95 bzw. verschiedenen Anwendungsprogrammen üblicherweise "in die Zwischenablage kopieren". Zu diesem Zeitpunkt hatte die selbe Funktion unter MacOS bereits die Kombination "Apfel+C". Nutzer älterer Windows-Versionen wie z.B. 3.1 hatten sich eventuell bereits an "Strg+Einfg" bzw. "Ctrl+Ins" gewöhnt, was bis dahin dasselbe bedeutete. In DOS und unter Unix, also in den gängigen Kommandozeilen-basierten Betriebssystemen zu dieser Zeit, stand Ctrl+C für das sofortige Abbrechen eines Programms, also praktisch ein Notbehelf. Eine Zwischenablage, die es unter Unix auch gibt, funktioniert dort komplett anders, als unter Winows und funktioniert nur dann, wenn man eine Maus zur Verfügung hat. (Das ist nicht unbedingt notwendig, wenn man ansonsten alles mit der Tastatur macht, aber unter X-Windows, der grafischen Oberfläche für Unix, ist es die Regel). Die Zwischenablage funkioniert dort auch nur für Text. Man markiert einen Text mit der Maus. Nun kann man diesen zuletzt markierten Text überall durch klicken der mittleren Maustaste einsetzen. Das geht oft schneller, als die Kombination zwischen Tastatur und Maus.

Ctrl+C heisst für Dich "Kopieren in die Zwischenablage", aber für Millionen anderer trifft das nicht zu.

Aber, noch nicht genug. Die Entwickler von KDE ("K Desktop Environment", eine beliebte Arbeitsoberfläche für X-Windows) stehen nun vor dem Problem, dass sie einerseits Windows-Nutzern den Einstieg möglichst leicht machen wollen und damit ohne das Erlernen neuer Konventionen auskommen möchten. Andererseits wollen sie erfahrene X-Windows-Nutzer nicht vergraulen. Deshalb funktioniert in allen KDE-Anwendungen sowohl die Tastatur-Methode (Ctrl+c/Ctrl-V), als auch die Maus-Methode (markieren, mittel-klicken). Das führt dummerweise dazu, dass ich jedes mal, wenn ich in KDE einen Text markiere, versehentlich die Zwischenablage lösche und mit dem markierten Text befülle, weil ich die Windows-Konvention gewöhnt bin. Inzwischen währe es mir lieber, KDE hätte sich seiner Haus-Umgebung angepasst und nur die X-Windows-Variante unterstützt.

>>
>> Aber ist es nicht so, dass wir inzwischen eigentlich eine ganz andere  
>> Generation von Interfaces die Entwicklung bestimmt, die weniger 
>> darauf  setzen, dass der Benutzer die Bedienungsoptionen aus dem 
>> Gedächtnis  erinnern kann, sondern die sehr viel mehr mit visuell 
>> variantenreichen  Oberflächen an Stelle der Standard-GUI-Elemente 
>> funktionieren werden?

>
>
>
> Das widerspricht IMHO aber dem gedanken der Standardisierung. Ich habe
> nun alles in allem ein ganzes Jahr gebraucht, um mich mit dem total
> Windoze- (und Linux-)untypischen Interface von Blender (3D-Programm)
> anzufreunden. Dabei ist dieses Interface wirklich sehr benutzer-
> freundlich aufgebaut - aber es ist eben *anders* (OpenGL) - was u. a.
> eine sensationell kleine Größe des Programms von ca. 3 MB (!) zur
> Folge hat - aber man/frau muß sich eben erst mal total umstellen.

Das ist meines Erachtens ein Argument für eine _innere_ Konsistenz für einen Kontext, der auich seine Grenzen haben kann/muss.

Eine globale, übergreifende Konsistenz wird es niemals geben. Dagegen spricht schon die fortschreitende Diversifizierung der Geräte, die noch alle unter dem Label "Computer" kursieren. Die Anforderungen an Tablet PC, Handys oder neu Smartphones, PDAs, Laptops, Desktop PCs und Server sind nunmahl recht unterschiedlich.

> Ein anderer Gedanke - nur mal als Diskussionsanstoß - wäre der, die
> Redundanz bei Interfaces zu verringern. Wozu braucht man beispielsweise
> *drei* verschiedene Optionen für besagtes 'Copy', wenn '<CTRL>+C'
> ausreicht. Ich jedenfalls mache es praktisch nur so. Das spart Platz
> oben in der Menüleiste; außerdem fällt ein evt. vorhandener zuätzlicher
> 'Copy'-Button weg.

Wenn ich meinem Bruder (Karrosseriebaumeister, Windows-Nutzer seit ein paar Monaten) oder meinem Vater (Windows-Nutzer seit Jahren) etwas von "Steuerung-Zeh" erzähle, nicken die andächtig und glauben mir, aber vergessen das dann schnell wieder. Da bin ich froh, dass sie -- je nach Vorliebe -- die rechte Maustaste klicken und dann umständlich im Menü "Kopieren" wählen oder , noch schlimmer, ins Fenstermenü gehen und dort unter Bearbeiten > Kopieren finden, was sie suchen.

Das Wort "Redundanz" hat komischerweise ein so schlechtes Image. Im User Interface ist es aber oft wichtig, ein und dieselbe Funktion aus verschiedenen Kontexten heraus ohne großen Aufwand erreichen zu können.

>> ...

>
> A propos 'vi': Ich kämpfe immer noch mit der bash herum; 'vi' finde ich
> unter Linux ziemlich kompliziert, an 'Emacs' habe ich mich noch gar
> nicht herangewagt. Ja, jetzt höre ich schon das Lachen, aber mein
> Standpunkt ist eben auch ein wie ich meine vertretbarer. Nur weil einige
> Leute gut mit Kommandozeilen umgehen können, muß das noch lange nicht
> etwas für die Mehrheit sein. Ich habe ebenfalls eine'vi'Version unter
> Windoze (WinVi), die eines meiner Lieblingsprogramme ist.

Na also. Verschiedene Nutzer haben eben verschiedene Vorlieben. Emacs ist von einem ganz bestimmten Nutzer für seine eigenen Vorlieben geschrieben worden. vi von einem anderen. Meine Vorlieben stimmen mit keinem der beiden überein. Nicht umsonst gibt es Texteditoren wie Sand am Meer.

> ...

Ein Gruß vom

Marian



Archiv: http://kisd.de/~marian/interface/