Interface Design Mailingliste: Re: Desinformations-Design (war: [Interface] [link geposte] -> Was treibt eigentlich prof. peter stephan ?)

Autor: Andreas Schwankl (anschwan_at_kisd.de)
Datum: Son 04 Mai 2003 - 23:40:26 CEST



Hallo,
vielleicht ist der Ansatz sich in der Gestaltung von "Desinformation" zu üben auch erwas leichter zu verwirklichen als der von "lupenreiner" "objektiver" Informationsgestaltung. Im letzten Semester war ich in einem Seminar von Prof. Heidkamp zum Thema Infodesign und gerade die Frage nach der möglichen Objektivität war hier des öfteren ein prägendes Moment in den passierten Diskussionen.

Letzten Endes basiert alles auf einer mehr oder weniger komplexen Ausgangssituation. Je nachdem welche individuellen Perspektiven, welche Speichermedien (Kameras, Tonaufzeichnung, etc. ) adhoc zur Stelle sind und welche Filterung der gesammelten Informationen als nächstes passieren, je nachdem morpht sich die Verdichtung der Informationen hin zu einer Infografik, einem Zeitungsartikel, einer Bildreportage etc. Meiner Meinung nach sind das alles nur Fragmente die von möglichst vielen Leuten möglichst unterschiedlich dechiffriert werden sollen.

Jeder bildet sich seine Meinung, ist ja nicht der schlechteste Ansatz. Größere mentale Bilder entstehen wahrscheinlich auch erst nach dem Konsum und der Verarbeitung von unterschiedlichsten Fragmenten einer Ausgangssituation. Aber das Erlebte ist immer noch von anderem Gewicht als das Detailkonsumieren, das Fazitkonsumieren oder das "Den Überblick"-Konsumieren. Infografiken sind vielleicht sowas wie User-gerechte Informationsfragmente. Eines kann nicht den ganzen Sachverhalt erklären. Selbst wenn ein komplexes Szenario beschrieben wird, kann man aus einer Infografik nicht die Geschichte der Beteiligten oder ähnliches ablesen. Genauso wenig, wie die Startsite einer komplexen Sitearchitektur sofort beim User ein tiefes Verständnis für die interne Vernetzung und logische Kategorisierung angedeihen lässt, egal wie gut sie ist.

Man kann sich natürlich die Frage stellen, welche Verarbeitungsprozesse von der Ausgangssituation bis zum Konsumentenfähigen Produkt passiert sind, doch das wird von den wenigsten Info-Konsumenten als Option der privaten Meinungsbildung erkannt. Dies ist einem Info-Konsumenten vielleicht auch gar nicht zuzumuten. Das Problem liegt vielleicht wieder einmal in der allgemeinen und generell vorliegenden Infodichte. Manchmal frage ich mich ja schon inwieweit das was von der Kathodenröhre des Bildschirms in meine Reizzone flutet überhaupt in irgendeiner Form mit mir zu tun hat. Paranoide könnten meinen alles hätte mit ihnen zu tun. All das was schön und vor allem alles was weltweit hässliches passiert. Wie es passiert und vor allem wieso es tatsächlich passiert steht erstmal weniger zur Debatte.

Ich persönlich hatte mir zu Beginn dieser Krise vorgenommen das was da noch kommen wird (so gegen Ende Januar) mit Gelassenheit zu registrieren und ein erhöhtes Maß an Wachsamkeit zu kultivieren. Wie sieht das im Bereich der Berichterstattung bei CNN aus, oder bei NTV oder BBC, im Deutschen Öffentlichen und sogar bei denen wo ich die Sprache nicht kenne (Türkisches Fernsehen und die "guten" Franzosen). Gut fand ich die stattgefundenen Diskussionen, die Hintergrunddokumentationen und von denen gab es eine Menge, vor allem die auf arte waren teilweise hervorragend.

Trotz einer gewissen Passion für Infografiken zog diese Krise mehr oder weniger infografik-less an mir vorbei. Das gepostete von letztens hat mich auch irgendwie überrascht und deshalb ging der Gedankengang erstmal in Richtung - weiterleiten. Das was mich teilweise bis zur Weissglut getrieben hat war die Montagestrategie der Privaten wie auch der Öffentlichen Sender. Teils aus Ermangelung von brauchbarem Material (wo man ja auch eine gewisse Absicht erkennen konnte) und Teils auch weil das seit dem 11. September sich so etabliert hat. Ich sah an unterschiedlichen Tagen zu unterschiedlichsten Thematiken immer wieder die selben Bilder. Dieses Brainwashing hat mich echt genervt.

Und nervt mich immer noch. Interessant bei NTV ist derzeit die Weiterführung des "Krieg gegen Sadam" - Aufmachers am oberen linken Bildrand der Glotze. Zu den Chaoszuständen in Berlin gab es den formal gleichen Aufmacher (oder wie immer man dieses Bildelement nennt) doch jetzt mit sowas wie "Chaos in Berlin" im Text. Und die Brainwash-Clipmontage war auch dieselbe. Da scheint es überhaupt keine Bedeutung mehr zu haben, ob jemand zuerst verhaftet wird, dann Steine aus dem Pflaster kratzt und dann noch ein Auto umwirft und darauf rumtanzt ehe es angezündet wird. Da frägt man sich schon mal, wieso überhaupt die Polizei dagewesen ist. Die darf dann von den eingefangenen Verletzungen erzählen als ob es Trophäen wären.

Jaja, in solchen Zeiten leben wir und es wird immer schlimmer, das ist mein Fazit.

Andreas



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