Interface Design Mailingliste: Re: [Interface] Re: Desinformations-Design

Autor: Marian Steinbach (marian_at_kisd.de)
Datum: Mon 05 Mai 2003 - 20:55:02 CEST



Hallo!

Claus Cyrny wrote:

>> Hi.
>>
>>> Jetzt wieder klarer. Ich bin ein verfechter der Verdeutlichung von 
>>> Informationen durch mediale Mittel. In der Form, wie es während 
>>> dieses Irakkriegs geschehen ist, halte ich es aber für eine Form der 
>>> Desinformation und der Vertuschung von eigentlichem Unwissen.

>
>
> Kannst Du dazu ein Beispiel geben?

Ja. http://www.cnn.com/SPECIALS/1998/iraq/iraq.maps/key.locations/

Dabei besonders interessant ist die Übersicht "Biological Weapon's Sites", also "Standorte der Biowaffen". Merke: Bis heute ist es den USA nicht gelungen, an diesen oder anderen Orten im Irak Biowaffen zu finden.

Oder
http://news.bbc.co.uk/1/shared/spl/hi/middle_east/02/iraq_navigator/html/default.stm

> Zum Thema "Irakkrieg"/Infografiken fällt mir ein:
>
> 1.) Infografiken vereinfachen stark.

Dem würde ich zustimmen.

> 2.) Sie lösen bestimmte Details aus einem gegebenen (hier: komplexen)
> Zusammenhang heraus. Indem dieser Zusammenhang nicht mehr sichtbar wird,
> verzerren sie die Realität.

Kann sein, dass ich dem zustimme.

> 3.) Infografiken sind von Natur aus statisch. Dynamischen Vorgängen
> wie einem Krieg können sie daher zwangsläufig nicht gerecht werden.

Dem stimme ich nicht zu. Infografiken sind nicht "von Natur aus" statisch, denn sie sind nicht "von Natur aus". Sie sind ein kulturelle Artefakte. Einige agyptische Hieroglyphen können durchaus als frühe Infografiken verstanden werden. Und obwohl sie in Stein gemeißelt oder auf Papyrus gepinselt waren, konnten sie durch die Aneinanderreihung eine gewisse Dynamik gewinnen. Zumindest können sie sich mit dem Maß an Dynamik messen, das einige der Klickmich-Karten in der heutigen Presse bieten.

> 4.) Ob Infografiken desinformieren oder nicht, wird IMHO über den
> Zusammenhang deutlich, in den sie gestellt bzw. in dem sie präsentiert
> werden (ich glaube a priori Infografiken von CNN beispielsweise
> überhaupt nicht, da CNN meiner Meinung nach *das* US-Propaganda-
> instrument schlechthin ist).
>
> 5.) Als Nachgedanke: Nicht so kritische Rezipienten können vielleicht
> durch Infografiken dazu gebracht werden, der (Des-)Information eine
> besondere Authentizität beizumessen. Obwohl ich mich für relativ
> kritisch halte, komme ich bei näherer Betrachtung zu dem Schluß, daß
> auch ich gegen die Falle "Bilder/Grafiken = authentisch" nicht gefeit bin!

Auch dem stimme ich zu. Das meinte ich unter anderem, als ich schrieb, dass diese Infotainmentkarten schlicht nicht zum anzweifeln da sind. Hinzu kommt vielleicht bei Landkarten tatsächlich sowas wie eine "Authorität der Karte". Bis vor kurzem wäre ich z.B. nie auf die Idee gekommen, die Richtigkeit der Karten in meinem alten Diercke Weltatlas anzuzweifeln. Inzwischen ahne ich, dass auch der Diercke Verlag nur ein begrenztes Budget zur Verfügung stellt, um Daten zu beziehen und zu verifizieren.

Prof. Philipp Heidkamp hat hierzu ein anderes Beispiel aus dem echten Leben: Er hatte für sein InfoDesign-Projekt "Malaria" (siehe http://kisd.de/~heidkamp/archiv/2002-3/Malaria/) eigentlich vor, statistische Informationen zur Malaria-Ausbreitung und den folgen zu visualisieren. Leider gab es viele wiedersprüchliche Informationen zu ein und demselben Sachverhalt, z.B. der Anzahl der täglich an Malaria sterbenden Menschen. So etwas lässt sich guten Gewissens schlecht visualisieren.

Gruß vom

Marian



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