Da, wo es am unbequemsten, gefährlichsten scheint, befindet sich oft ein unterschätzter Bereich: der Zwischenraum. Francois Julien hat ihn differenziert, einerseits als einen Ort, der ohne Bezug entweder ignorant, unterordnend und/oder dominierend eingenommen wird. Und andererseits, als einen Raum der Relationen, die dadurch veränderbar werden, dass Distanz eingebracht wird, die die Beziehung hält. Dann kann diese Sphäre eine Agora, ein Verhandlungsplatz, ein Möglichkeitsraum werden. Was braucht es, damit dies entstehen kann und dieser eine Bühne wird, auf der alles gesagt und getan werden kann? 

Die Philosophin Marie-José Mondzain hat uns sensibilisiert dafür, dass der im Moment so häufig ins Spiel gebrachte Begriff der ‚Empathie‘, seine Wurzel im Pathos hat. Betrachten wir die drei rhetorischen Stile, die sich auf die Argumentation beziehen: Ethos, Pathos und Logos. 

Ethos nimmt Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Sprechers, Pathos auf die emotionale Ansprache des Publikums und Logos auf die Logik des Arguments. Wenn wir also Empathie einfordern oder verbieten, sind wir auf einer emotionalen Ebene, die das eigene Empfinden mit dem des Anderen zu verwechseln droht. Sollten wir nicht Spüren, Denken und Fragen in einem anstreben? Unsere Zeit ist geprägt von einer Angst (Phobokratie) vor der Komplexität, die uns zu einer scheinbaren Ineffizienz, Verlangsamung, Desorientierung führt. Nehmen wir diese aber als produktiv war, als Möglichkeit zur Veränderung, als Gestaltungsraum, sind wir in der Offenheit. Wie können wir nun den festgefahrenen Raum der Zerstörung und Angst, in dem wenige selbsternannte oder sogar gewählte Orientierte die Richtung angeben, zu einem Artikulationsraum machen, in dem Alternativen entstehen können? Alternativen im Wahrnehmen, Sprechen und Handeln. Wie können wir reale Utopien legitim machen und sie der Diskreditierung als naiv oder pazifistisch befreien und sie als genauso möglich anschauen, wie es das unmögliche Grauen jeden Tag beweist? Es ist im Menschen angelegt, Gefahr zu antizipieren und sich zu schützen, genauso wie neue Wege zu entwickeln und zu versuchen. Erlauben wir uns, Unmögliches so konkret wie möglich zu entwerfen. Halten wir es mit dem italienischen Wort für Design/Gestaltung progetto sind wir bereits beim Entwerfen in einem Projekt, einem in die Welt werfen. 

Wir laden Euch ein, zwischen den Linien Fragen zu stellen und wer mag, Vorschläge zu machen – mögliche und unmögliche, legitime und illegitime, vernünftige und verrückte, um ein Spatium, einen Zwischenraum zu eröffnen, der zunächst vielleicht als Nebenschauplatz scheint, aber in der Funktion zwischen den Linien auch gleichzeitig im Zentrum ist und sich als Alternative ausdehnen kann.

Der Talk findet in Raum 11 statt und ist ebenfalls über Zoom verfügbar.

https://tinyurl.com/2p93nume

Meeting-ID: 673 9485 2764

Kenncode: KISD

Soziologin Vera Baur, spezialisiert auf visuelle und urbane Anthropologie, ist Präsidentin des Vereins und internationalen transdisziplinären Netzwerks Civic City – Institut für Forschung und kritische Wissenschaften im Design und leitet zusammen mit Ruedi Baur das Labor Ten-billion-humans, das Forschung, Beratung und Entwicklung im Bereich des relationalen, bürgerlichen und sozialen Designs zum Ziel hat. Sie ist assoziierte Forscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) am Hubert-Klumpner-Lehrstuhl für Architektur und Stadtplanung in Urban Anthropology und war als Gastprofessorin unter anderem an der USEK University, Beirut, EHESS und SciencesPo Paris sowie an der Universität Straßburg tätig. In ihrer Forschung, ihren kreativen Projekten und ihrer Lehre möchte sie Reflexion, Engagement und Praxis für eine gerechtere, solidarischere und nachhaltigere Welt verbinden.

 

Seit den 1980er Jahren betrachtet Ruedi Baur seine Tätigkeit als Designer im Kontext eines zu verändernden öffentlichen Raums. Zunächst als Grafikdesigner für zahlreiche Kulturinstitutionen tätig, organisierte er in den 1990er Jahren eine transdisziplinäre Lehre, die auf einer kritischen Forschung über die Kultur des Designs basierte und von den praktischen Erfahrungen in seinen Workshops genährt wurde.

 Mit dem Anspruch eines interdisziplinären Designs gründete er 1989 das Netzwerk Integral und leitete die Werkstätten bis 2023: Integral Ruedi Baur, Paris, Zürich und Berlin, dann Integral Designer. 2004 gründete und leitete er mit der Soziologin Vera Baur an der ZHdK in Zürich das Institut Design2context, 2011 das Institut für kritische Designforschung Civic-City, 2018 das Start-up 10-Milliarden-Human University.

 Seine Bibliographie ermöglicht es, seinen Weg zu verfolgen, insbesondere mit Büchern wie “Architecture-graphics” (1998), “Des-Orientation 1 und 2” (2008-09) “Signs for Peace, an impossible visual Encyclopedia” (2012), “Facing the territorial brand” (2013), “A World to change” (2017) und “And suddenly the world was immobilized” (2020).