Der Begriff Identität verspricht Einzigartigkeit und im alltäglichen Verständnis wird Identität häufig als eine Art Besitz verstanden, welcher von Natur aus jedem Menschen gegeben zu sein scheint. Betrachtet man jedoch den Begriff etwas eingehender, zeigt sich Identität als vielgestaltig, widersprüchlich und äußerst fragwürdig. Wer würde schon eine einfache Antwort auf die Frage geben können, wer man denn eigentlich sei? Ist es unser Körper, unser Geschlecht, unsere Sprache, unsere Biografie, unsere soziale Rolle, unser Beruf, unsere Kultur oder gar unsere Nationalität, welche unsere Identität zu bestimmen vermag? Oder ist die Suche nach der eigenen Identität möglicherweise nur eine Zwangsvorstellung, die das Fremde und die Anderen ausgrenzt – eine Ideologie, die es möglichst abzuschütteln gilt?
Es sind die kulturwissenschaftlichen Diskurse, in welchen Konzepte und unterschiedliche Vorstellungen von Identität kontrovers diskutiert sowie komplexe Selbst- und Fremdverhältnisse von Individuen und Gruppen, immer wieder aufs Neue, reflektiert werden. In diesen Reflektionen finden sich Positionen aus Philosophie, Soziologie, Psychologie, Ethno- und Anthropologie, Semiotik und den Kommunikationswissenschaften, welche immer auch vor dem Hintergrund ihrer historischen Rahmung und in ihrer fachlichen Begrifflichkeit gewürdigt und verstanden sein wollen.
Der Einstieg in diese Theorien ist keineswegs einfach aber ungemein erkenntnisreich und von entscheidender Bedeutung für das Lehrgebiet »Identität und Design« an der Köln International School of Design. Beschäftigen wir uns darin doch mit den Fragen, wie Konzepte und Modelle von Identität entstehen, welchen gesellschaftlichen Einfluss sie haben und letztlich, wie Identität jetzt und in Zukunft gestaltet werden kann.
Eine studentische Arbeitsgruppe stellte sich im Rahmen eines Semesterprojekts der schwierigen Herausforderung, die weitläufigen und komplexen Identitätsdiskurse zu hinterfragen und darüber hinaus zu erörtern, inwiefern diese veranschaulicht und für andere Studierende/Interessierte leichter zugänglich gemacht werden können. Darüber hinaus sollte in dem Projekt auch reflektiert werden, ob visuelle Repräsentationen, wie Karten und Infografiken, nicht nur als Instrumente der reinen Vermittlung, sondern auch als Werkzeuge im Prozess des Verstehens zu gebrauchen sind und inwiefern die darin vorgenommene Reduktion von Komplexität selbst wiederum zum Problem werden kann.
Als erste Annäherung an die komplexen Thematik (des Identitätsdiskurses), haben die Studierenden nach intensiver Lektüre zunächst die grundlegenden Theorien im Einzelnen erörtert. Um eine möglichst breite Abdeckung des Diskursfeldes zu erreichen, wurden sowohl übergeordneten Begriffen, wie „Individualisierung“ oder „Subjekt” ausgearbeitet aber auch Patenschaften für einzelne Theoretikerinnen und Theoretiker übernommen. Dabei wurde in wesentliche und nachrangige Theorien unterschieden, theorieübergreifende Argumentationsstränge und Genealogien identifiziert sowie grundlegende Paradigmenwechsel und ihr Einfluss auf den Identitätsdiskurs herausgearbeitet.
In einem zweiten Arbeitsschritt haben die Studierenden Darstellungstechniken und historische Beispiele recherchiert sowie eigene Formen visueller Repräsentation entworfen und geprüft. Es zeigte sich, dass Darstellungsformen, die lediglich an einem einzigen Parameter ausgerichtet werden, wie zeitlich strukturierte Synopsen, Theoriestammbäume oder die Sortierung nach Denkströmungen, der Komplexität der Fragestellung nur bedingt gerecht werden und obendrein zu falschen Schlussfolgerungen führen können.
Zunächst wurde eine Visualisierung des Identitätsdiskurses mithilfe interaktiver und zeitlich basierter digitaler Medien durch die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer erwogen, jedoch aufgrund der zu erwartenden Informationsdiffusion und -zersplitterung nicht weiter verfolgt. Das Projektteam entschied sich daraufhin, einen analogen Übersichtsplan zu gestalten, welcher einen stufenweisen Einstieg in einzelne Theorien mittels unterschiedlich komplexer Informationsebenen ermöglichen, aber auch die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Positionen zur Darstellung bringen sollte.
Für diesen stufenweisen Einstieg in die Theorien wurden unterschiedliche Darstellungsformen gewählt:
- einfache Texteinführungen, Zitationen und wesentliche Quellen zu jeder Theorie
- Illustrationen, welche narrativ die entsprechenden Kernaussagen der Theorie in Alltagssituationen verorten
- Infografiken, welche die jeweiligen Theoriemodelle und Argumentationen schematisch veranschaulichen
- Piktogramme, welche die Theorie übergeordneten Paradigmen und Polaritäten zuordnen
Darüber hinaus wurden chronologische Einordnungsmöglichkeiten und Verbindungen der Theorien untereinander diagrammatisch aufbereitet.
Selbstverständlich erhebt der aktuelle Bearbeitungsstand keinen Anspruch auf Vollständigkeit – immerhin wurden innerhalb weniger Wochen rund 30 Theorien aufbereitet. Es zeigte sich jedoch auch, dass aufgrund der Komplexität der Thematik die Verdeutlichung der historischen Prozesse und Theorieverwandtschaften in der hier gewählten Form ebenfalls ihre Darstellungsgrenze findet. Nichtsdestotrotz wurde deutlich, dass der Zugang zu abstrakten und komplexen Sachverhalten, wie dem Diskurs um Identität, durch visuelle Darstellungen erleichtert werden kann und dass die Arbeit daran nicht nur viel Freude bereitet, sondern selbst schon ein wesentlicher Baustein des Verstehens ist.