Die Anforderungen an Design haben sich offensichtlich verändert – oder doch nur scheinbar? Wenn wir ein halbes Jahrhundert zurückblicken – die Zeit, in der Viktor Papanek mit seinem Werk Design for the Real World (1971) aus der Industrial Designers Society of America (IDSA) ausgeschlossen wurde. Mit diesem Werk kam eine Erweiterung und Öffnung des Design- und Gestaltungsbegriffes – das stellvertretend für einschneidende Einsichten zu Beginn der Siebzigerjahre steht – eine Wende, eine Zäsur, eine Setzung die heute noch wirkt. Sein sehr breiter Designbegriff, die damit entstehenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Reflektionen, Interventionen und Limitationen sind auch für heutige Diskurse und die Bedeutung des Entwurfs – oder Entwurfs von Welt (Otl Aicher) relevant.
Designer und Gestalter entwerfen und denken in spezifischen Prozessen, machen Verdecktes durch Entwürfe anschaulich (für sich und andere). Wie genau diese Entwürfe zustande kommen, wie nachvollziehbar und damit vielleicht auch formalisierbar und damit wiederum digital abbildbar diese Prozesse sind, sein können oder sein sollen ist sicherlich eine Teilfrage, die uns heute beschäftigt.
Unsere Erfahrung, unsere Sicht auf die Welt, aber auch unsere Prozesse, Methoden und Herangehensweisen bestimmen die Qualität unserer Ergebnisse. Wenn wir die Ergebnisse verbessern wollen, dann müssen wir auf die Prozesse, also auf die Entwurfsprozesse schauen. Wir müssen nicht nur Produkte bewerten und neu entwerfen, sondern auch unsere Prozesse.
Im BIldungskontext an Hochschulen wird die Frage nach einfachen, kommunizierbaren, repetierbaren, fakturierbaren Modellen für solche Prozesse immer wieder aufgeworfen. Sollen wir den Double Diamond Prozess verwenden lehren – und vielleicht sogar durch seine ihm eingeschriebenen Möglichkeiten der Formalisierung eine Digitalisierung “lehren” – oder ist das zu affirmativ?
In einer komplexer werdenden Welt bleibt auch das Design von der Forderung nach Pragmatik, Anwendbarkeit, Verwertbarkeit und Verständlichkeit über Disziplinen hinweg nicht ausgespart. Das Gegenteil ist der Fall.
Es handelt sich bei unseren Themen im Design oft um komplexe „Dispositive“, und dieser Begriff lässt sich durchaus in Anlehnung an die von Michel Foucault formulierten heterogenen Ensembles, die eine Wirkungseinheit bilden, verstehen. Design mit seinen Entwurfspotenzialen der formalen Artikulation wird vorwiegend genutzt, um handlungsfähig zu bleiben, ohne das Zusammenspiel dieser komplexen Systeme ergründen zu müssen. In diesem Paradox entfaltet sich eine entscheidende Qualität von Design – und das betrifft ganz entscheidend dann eben auch den Entwurfsprozess.
Es geht also um sehr verschiedene Dimensionen, die in der entwurfspraktischen Arbeit heute an Designhochschulen, aber auch in anderen Studiengängen, relevant sind, zum Tragen kommen, sich aber auch strukturell verändern.
Aus meiner Sicht – und meiner Erwartungshaltung – geht es um die vier zentrale Dimensionen, die in einem engen Wechselspiel zueinander stehen und von den heutigen Rednerinnen und Rednern in Teilen adressiert und hoffentlich abschließend in eine Verbindung gebracht werden:
- Kollaboration
Vernetztes Arbeiten ermöglicht heute im Designbereich selbstverständliche Formen der Kollaboration auch über räumliche Distanzen hinweg – um so die Effizienz zu steigern (aber möglicherweise auch Qualitäten zu verlieren).
Kollaboration erfordert einen Rahmen, ein gemeinsames Verständnis und damit eine Steuerung, die die Art der Arbeit (nicht nur der Zusammenarbeit) verändert, deshalb ist sie ein wesentlicher Aspekt, den wir auf Potenziale und Auswirkungen auf den Entwurf im Design hin betrachten wollen.
- Entwurf
Der Entwurf ist eine zentrale Dimension in der Design- und Gestaltungspraxis. Durch veränderte Werkzeuge werden Entwürfe scheinbar einfacher und können auch von Nichtdesignern leichter erstellt werden. Gleichzeitig haben sich durch die Digitalisierung aber auch ganz neue Möglichkeiten des Entwurfs, des Prototyping ergeben. Der Entwurf als zentrales Potenzial einer Profession oder gar Disziplin steht daher immer wieder als konstituierendes Element im Raum.
- Projektarbeit
Design hat weder das Projekt noch die Projektarbeit erfunden. Aber gerade im Design – und an der KISD seit 25 Jahren – ist die Projektorientierung aus guten Gründen ein konstituierendes Element des Studiums.
Das Problembasierte Lernen bietet viele Schnittstellen zur Projektarbeit. Wichtig ist, dass Studierende sich hier ein eigenes Teilproblem wählen, es beschreiben, die Auswahl vertreten und gemeinsam an dem Problem arbeiten – und einstweilen, aber nicht immer und nicht unbedingt zu Lösungen kommen. Im Designkontext ist die Projektarbeit untrennbar mit dem Entwurf verbunden – aber wir können durch zunehmend Projektarbeit in anderen Disziplinen und Settings natürlich hier auch von den Erfahrungen anderer lernen – und wichtige Impulse geben.
- Digitalisierung
Führt zu neuen Rahmenbedingungen die auch die (kollaborative) Entwurfs- und Projektarbeit, ob in Hochschulen oder in Designstudios, in Forschung, Lehre oder Berufspraxis radikal beinflusst.
Wie reagieren wir darauf, wie bewerten wir die Veränderungen? Können wir auch hier mit den Mitteln des Designs, also mit Entwürfen, Prototypen und Iterationen – aber auch mit kritischen Reflexionen und einem interdisziplinären Austausch weiterkommen?
Ich bin nun gespannt auf die Beiträge, die Diskussionen und gemeinsamen Erkenntnisse die wir zu diesem Themenfeld heute kollaborativ entwickeln werden.