Wir alle schimpfen und fluchen, beschimpfen und verfluchen. Alles daran ist menschlich. Wo aber hört Menschlichkeit auf und wo fängt Diskriminierung an? Bestehend aus einem Lexikon, drei Interview-Zines und einem Archiv, beantwortet KISD-Absolventin Laura Stöckmann in ihrer Bachelor-Thesis MALEDICTUM zahlreiche Fragen rund um sexistische, rassistische, LGBTQIA*- sowie behindertenfeindliche Schimpfwörter und zeigt Wege auf, wie wir das Fluchen, Schimpfen und Beleidigen gemeinsam verändern können. Die Arbeit ist für den Kölner Design Preis 2022 nominiert worden.
Im Rahmen verschiedenster Projekte, meiner Proposals und der anschließenden Final Thesis habe ich mich wissenschaftlich und gestalterisch mit der Geschichte des Feminismus, der Macht der Sprache, nichtdiskriminierenden und diskriminierenden Schimpfwörtern – allen voran sexistischen – und digitalem Hass beschäftigt. Zahlreiche Texte, Umfragen und Interviews später habe ich ein Lexikon, drei Interview-Zines und ein Archiv konzipiert, gestaltet und veröffentlicht, Postkarten und Sticker verteilt, einen Instagram-Account erstellt, eine Startnext-Kampagne gestartet und Vorträge in Köln, Erfurt und Dresden gehalten.
Wir alle schimpfen. Schimpfen macht Spaß, Schimpfen entspannt und verbales Verletzen kann physische Gewalt durchaus verhindern. Schimpfen ist menschlich. Da aber, wo wir jemanden nicht mehr einfach nur ein beschissenes Arschloch nennen, sondern diskriminierend beleidigen, genau da hört Menschlichkeit auf. Und diskriminierende Schimpfwörter gehen sehr vielen, sehr häufig und vor allem sehr selbstverständlich über die Lippen; etwas ist behindert, jemand eine Schwuchtel, die nächste eine Fotze, ein anderer ein Hurensohn und der letzte ein Kanacke.
Diskriminiert werden mit solchen Wörtern alle Anderen – alle abseits der weißen, männlichen, heterosexuellen und nichtbehinderten Norm. Diese Schimpfwörter können dabei übrigens in ihren Kategorien beliebig miteinander kombiniert werden und erlangen durch ebendiese Vielschichtigkeit eine besonders schwerwiegende Härte. So kann eine weibliche PoC, ein trans*- und homosexueller Mann oder eine kopftuchtragende, behinderte Frau* auf mehreren, sich kreuzenden und/oder überlagernden Ebenen beschimpft werden.
Schimpfwörter, ihre Bedeutung und wie sie benutzt werden (können), verändern sich allerdings – wenn auch nur sehr langsam und niemals ohne Kampf. Die von ihnen betroffene Personengruppe muss sie an sich reißen, sie nutzen, wiederholen und ihre Bedeutung grundsätzlich verändern – und zwar in dem sie immer nur im positivsten Sinne wiedereingesetzt werden.
Für alle anderen werden sie vielleicht nur vorerst, vielleicht aber auch endgültig, vielleicht zu absoluten Tabuwörtern (N), vielleicht zu empowernden Ausrufen (Bitch), vielleicht zu geradezu sachlichen Beschreibungen (Queer).
Was davon, für wen und wie lange – das entscheiden diejenigen, die Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende unterdrückt, diskriminiert und beschimpft wurden. Und dafür werden sie niemals ein warum angeben oder sich erklären müssen.
MALEDICTUM soll alle erreichen; die, die noch nie in ihrem Leben geschimpft haben, die, die oft und gern, vielleicht sogar zu oft und zu gern schimpfen oder die, die es am liebsten noch viel öfter tun würden, nur nicht wissen wie. Engagierte Feminist:innen und Aktivist:innen, die, die gern welche wären und vor allem die, die mitreden, aufklären oder endlich etwas erwidern und schlagfertig kontern wollen. Es soll aufklären; darüber, wer und wer eben nicht in unserer Gesellschaft immer und immer wieder beleidigt, beschimpft, gedemütigt und unterdrückt wird. Darüber, welche Folgen das für diese Menschen hat und vor allem darüber, dass diskriminierende Schimpfwörter und Beleidigungen sowohl der letzte Ausdruck eines tief verankerten Hasses als auch der erste Schritt zu grenzüberschreitender körperlicher Gewalt ist. Und es soll ermutigen; denn gemeinsam können wir uns all diese Wörter zurückholen und Beschimpfende ihrer Macht berauben.
Mich und mein Projekt betreut und unglaublich unterstützt haben Prof. Iris Utikal im Lehrgebiet Gender und Design und Prof. Michael Gais im Lehrgebiet Typografie und Layout.
Die Hälfte des Gewinns durch meine Startnext-Kampagne ging übrigens direkt an HateAid – die erste Beratungsstelle Deutschlands gegen Hass im Netz.
Bilder: Hanna Freres