Warum hat die linksextremistische Vereinigung „Rote Armee Fraktion“ in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er Jahre einen Kampf gegen den Staat aufgenommen und mit welchen Zielen? Wie äußert sich politische Radikalisierung und wie kann diese erfasst werden? Wo fängt Gewalt an und welchen Erfolg können solche Formen von Widerstand tatsächlich haben? Eine KISD-Ausstellung in Berlin befasst sich mit diesen Fragen, die vor dem  Hintergrund aktueller Krisen und Kriege drängender denn je erscheinen.

Am 14. Mai 1970 fand im Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) in Berlin-Dahlem die sogenannte „Befreiungsaktion“ für den Inhaftierten Andreas Baader statt. Diese Aktion war für die Beteiligte, die deutsche Journalistin Ulrike Meinhof, das zentrale Moment ihrer politischen Radikalisierung. Für sie stellte sich die Frage, ob sie ihr bürgerliches Leben als renommierte Journalistin behielt oder mit Andreas Baader in den Untergrund ging.

Als Beitrag zur Auseinandersetzung um Radikalisierung und deren Folgen haben vier Studierende der Köln International School of Design der TH Köln im Fachgebiet „Designtheorie und -forschung“ ein Lehrforschungsprojekt und eine Ausstellung organisiert, die sich mit der Baader-Aktion im Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen beschäftigt. Wie war die Stimmung im Institut kurz vor der Tat? Welche inneren Konflikte spielten sich womöglich in den Beteiligten ab, und welche Folgen hatte dieses Ereignis für die politische Situation in Deutschland?

Die Aktion und die Folgen der Flucht der Beteiligten stellen einen historischen Wendepunkt dar, der den Anfang der Roten Armee Fraktion markiert, die terroristische Gewalt als für sie legitimes Mittel zum „Kampf gegen den Imperialismus“ anwenden sollte. Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt im Spannungsverhältnis des Übergangs von Reaktion zu Aktion, die von persönlichen, kollektiven, gesellschaftlichen sowie staatlichen Akteur:innen und Handlungen beeinflusst wurde.

Die Ausstellung im Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen bietet zur Berliner Stiftungswoche vom 19. bis zum 29. April besondere Einblicke in die Radikalisierungsgeschichte Ulrike Meinhofs und der RAF. Die Ausstellungsbesucher:innen werden aufgefordert, die Spannungsverhältnisse der damaligen Realität, die mittels Computeranimationen, Grafiken, Original-Akten, Fotografien sowie Medienausschnitten präsentiert werden, zu hinterfragen und auch auf unsere heutige Zeit zu übertragen.

Zur Ausstellungseröffnung lädt das DZI außerdem zu einem Zeitzeugengespräch mit Prof. em. Dr. Manfred Kappeler ein, der Erfahrungen mit den Themen und Ereignissen der Radikalisierung von Ulrike Meinhof schildert. Das Gespräch wird live auf YouTube übertragen.

Am 28. April 2022 findet ein Online-DZI-Talk statt, in dem sich Yvonne Lober und Martin L. Sistig (beide KISD) mit dem Gründungsdirektor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Prof. Dr. Matthias Quent, über die Frage austauschen, in welcher Hinsicht es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den Prozessen der Radikalisierung in der Bundesrepublik Deutschland vor rund 50 Jahren und heute gibt. Moderiert von DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke, werden sie dabei unterschiedlichste aktuelle Protestbewegungen in den Blick nehmen.

3D Rundgang der Ausstellung

Konzept & Ausstellung: David Sieverding, Luisa Hoffmeister, Martin L. Sistig, Yvonne Lober
Ort: Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen | Bernadottestraße 94 | 14195 Berlin
Zeit: 19.–29.04.2022, von 10.00 bis 16.00 Uhr
Ausstellungseröffnung und Zeitzeugengespräch: 19. April 2022, 14:00–15:30 Uhr

Die Arbeit an dieser Ausstellung basiert auf der Ausarbeitung des Projekts „Designing Protest – Territories of Resistance“ unter der Leitung von Prof. Dr. Carolin Höfler an der Köln International School of Design (KISD) der TH Köln.

Beitragsbild: Rekonstruktion des Raumes im Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen, Berlin-Dahlem, aus dem Andreas Baader und Ulrike Meinhof am 14. Mai 1970 durch einen Fenstersprung entkamen. Rendering: David Sieverding und Martin Sistig.

Fotos: Luisa Hoffmeister