Textilität ist ein zentrales und wiederkehrendes Thema der Architektur. Das Potenzial von Textilien und Architektur liegt in der Gestaltung von Beziehungen, die durch Handlung, Bewegung und Wahrnehmung entstehen. In ihnen verbinden sich kulturelle, soziale und politische Aspekte.

Lotta Hagedorn nähert sich dem textilen Medium als Phänomen von Grenze, Begrenzung und Entgrenzung. Ihre theoretische Arbeit greift das Konzept des Stoffwechsels von Gottfried Semper auf und kontextualisiert es mit textilen Raumbildungsprozessen in Kunst und Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts – von der Textilkünstlerin Anni Albers, die am Bauhaus und am Black Mountain College Weberei lehrte, bis zum Design + Research Studio Limbo Accra aus Ghana, das unfertige Rohbauten mit raumgreifenden Textilien zu transformieren sucht.

Mit dem Begriff des Stoffwechsels bezeichnete Semper das Phänomen, dass Strukturformen, die ursprünglich mit der Bearbeitungstechnik eines Materials verbunden waren, von ihrer konstruktiven Aufgabe befreit als Ornament auf andere Stoffe übertragen werden. Durch derartige Übersetzungsprozesse werden Textilien und Architektur zu dynamischen Gefügen von Körpern, Stoffen und Räumen. Anni Albers hat sich intensiv mit gewebten Textilien als Raumteilern auseinandergesetzt und sie als dreidimensionale Objekte begriffen. Beide Seiten des textilen Raumteilers sind innerhalb des Gewebes miteinander verbunden und können so als zwei gleichwertige Flächen aufgefasst werden. Damit löst sich der textile Raumteiler von seiner konstruktiven Seite und präsentiert sich als flexible, fragile Oberfläche, als materielles Interface, als ›Membran‹, die eine aktive Rolle bei der selektiven Übermittlung natürlicher Bewegungen wie Licht, Luft und Klang spielt. Lotta Hagedorn hat diese Funktion des Textilen mit einer eigenen Webarbeit im Raum analysiert und gestaltet.

Bilder: Lotta Hagedorn: Flächenwandel, Intermediate-Arbeit, 2024.